Vogeler 150. Geb.

 

Gerwin Udke

 Zur Aktualität des Friedensappells von Heinrich Vogeler
aus dem Jahre 1918

Am 12. Dezember 2022 wurde der 150. Geburtstag des Jugendstilkünstlers, des bedeutenden Grafikers, Malers und Architekten Heinrich Vogeler aus Worpswede begangen. Sein Leben und Wirken ist besonders auch wegen des Weges vom Kriegsfreiwilligen des Ersten Weltkrieges zum Pazifisten und aktiven Kämpfer gegen Krieg und Gewalt von höchster Aktualität.

Aus einer tiefen persönlich-familiären und künstlerischen Krise heraus hatte sich Vogeler im August 1914 freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. Nicht aus Patriotismus oder Nationalgefühl hat er um Kriegsteilnahme ersucht. Sondern aus privater Not hoffnungslos geworden, erwartete er nichts mehr vom Leben und hoffte dennoch, irgendwie für sich einen Ausweg zu finden. Im September trat er seine Kriegsausbildung bei den Oldenburger Dragonern in der Kaserne in Osternburg an. Von 1915 bis 1917 wurden Vogeler dann unterschiedliche Aufgaben an verschiedenen Fronten im Osten übertragen. Vorrangig hatte er Erkundungs- und Propagandaaufgaben zu erledigen. Meist nicht unmittelbar in der kämpfenden Truppe eingesetzt, erlebte er dennoch als Soldat alle Schrecken des Krieges. Hunger, Kälte, ständige Bedrohung, Elend und Tod ungezählter Kameraden.

An unterschiedlichen Kriegsschauplätzen schuf er eine Unzahl informativer Zeichnungen, die für verschiedene Zwecke verwendet worden sind. Als Detailinformationen zur Frontaufklärung, als  Illustrationen in Zeitschriften und als Kriegspostkarten. Sechzig dieser Zeichnungen fasste Vogeler 1916 in der Mappe „Aus dem Osten“ zusammen.
Da sind nicht vordergründig Kriegshandlungen dargestellt. Vogeler hat mit seinen Zeichnungen Abstand gewinnen wollen zu dem erlebten Kriegsgräuel. Seine Verzweiflung über das Erlebte fand andererseits eindrucksvollen Ausdruck in dem Ölbild „Die Leiden im Kriege“ (1916). Im Dezember 1917 schrieb er verzweifelt an Harry Graf Kessler:
„So kann ich nicht weiterleben …“

Als nach den scheiternden Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk jede realistische Aussicht auf baldigen Frieden erlosch, verfasste Heinrich Vogeler im Frühjahr 1918 einen flammenden Friedensappell, den er an Kaiser Wilhelm II. sandte. Nachträglich von ihm „Das Märchen vom lieben Gott. Brief eines Unteroffiziers an den Kaiser im Januar 1918, als Protest gegen den Frieden von Brest-Litowsk“ genannt. Zusätzlich sandte Vogeler einen Protestbrief mit seinem Appell auch an die Oberste Heeresleitung, an Hindenburg und Ludendorff. Vogeler prangerte die Verlogenheit der deutschen Politik an, die einen Verteidigungskrieg versprochen, aber einen schonungslosen Eroberungskrieg führt. Er forderte, das Elend des Krieges sofort zu beenden, den Abschluss eines ehrlichen Friedens.

Der Verfasser des Kaiserbriefs wurde umgehend verhaftet. Ludendorff forderte die sofortige Erschießung des Landesverräters. Dieses Schicksal blieb ihm allein deshalb erspart, weil die Kriegsherren es nicht wagten, den weithin bekannten und beliebten Künstler einfach zu liquidieren.
Er wurde in Bremen in die Irrenanstalt, in die „Beobachtungsstelle für Geisteskranke“ eingewiesen; wurde schließlich für kriegsuntauglich erklärt und unter Polizeiaufsicht gestellt.

Die Erkenntnisse aus dem Erleben der Kriegsschrecknisse fanden unter anderem eindrucksvoll in der Radierung „Die sieben Schalen des Zorns“ und in den Ölbildern „Das Leiden der Frau im Kriege“ aus dem Jahr 1918 und „Die Kriegsfurie“ (1919) ihren Ausdruck. Diese Kunstwerke sind beeindruckende Zeugnisse des Weges des Heinrich Vogeler vom Kriegsfreiwilligen zum glühenden Pazifisten und sozialistischen Kämpfer gegen Krieg und Gewalt, der ruhelos nach Auswegen aus der am Krieg verdienenden Kapitalordnung sucht.
Am Ende des Europa verwüstenden Ersten Weltkrieges gelangte Vogeler zu der Erkenntnis, dass alles getan werden muss, ein von Gewalt, Ausbeutung und Repressionen freies Leben zwischen Menschen wie Völkern zu erkämpfen.

Der Friedensbrief des Heinrich Vogeler an Kaiser Wilhelm II. gehört mit gutem Grund zu den herausragenden deutschen Künstlerschriften des 20. Jahrhunderts. Auch mit Bezug auf diesen eindringlichen Appell aus dem Jahre 1918 drängt sich heute mit aller Macht die Frage auf:
Haben die aktuell Regierenden in Deutschland, in Westeuropa und in den USA nichts aus der Geschichte gelernt?
Für mich als Kriegskind, geboren 1939, dessen Vater 1944 als einfacher Soldat der deutschen Wehrmacht wie Millionen andere „an der Ostfront“ umgekommen ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Diejenigen, die heute weiter schwere Waffen für die Ukraine im Kampf gegen Rußland unter Putin fordern, sollten sich ihrerseits – freiwillig – zum persönlichen Kriegseinsatz in der Ukraine melden. Dann werden auch sie gewiss endlich begreifen, welche Gefahren sie für den Weltfrieden heraufbeschwören. Dass dieser Krieg umgehend beendet werden muss.

Februar 2023