Synthese von Notwendigem und Schönem
Ein
DDR-Kultbuch heute auf die Bühne zu übertragen, das ist wahrlich kein einfaches
Unterfangen. Das Deutsche Theater in Berlin hat in der Reihe „30 Jahre
Mauerfall“ das Theaterstück „Franziska Linkerhand“ nach dem Roman von Brigitte
Reimann herausgebracht. Die Inszenierung unter der Regie von Daniela Löffner geht
ein Wagnis ein: Sie will die Zeit und das Land, in dem Franziska Linkerhand
sich ins Leben kämpft, dem Zuschauer von heute nahebringen. Sie wirft dabei aber
auch viele Fragen auf.
Und so manche dieser Fragen bleibt leider auch am Ende nach langen Dreidreiviertelstunden
unbeantwortet.
Dem Theaterbesucher, dem die zuweilen verwirrende Vielschichtigkeit der
Inszenierung Probleme bereitet, sei empfohlen, nochmals das Buch in die Hand zu
nehmen. Die erste Auflage dieses großen Roman-Zeitdokuments über das
dramatische Lebens- und Berufsschicksal der jungen Architektin Franziska
Linkerhand in der DDR erschien 1974 - erst nach dem viel zu frühen Krebstod von
Brigitte Reimann 1973.
Für viele, insbesondere junge Frauen, wurde der Roman zu einem regelrechten Lebensbuch.
1998 kam dann eine „Ungekürzte Neuausgabe“ heraus, die später aufgefundene
Ergänzungen einordnete und vorgenommene Streichungen rückgängig machte.
„Kühn, couragiert und kantig, … kämpferisch,
unbequem, großdenkend und selbstbehauptend“ wagt die junge Architektin
Franziska Anfang der 1960er Jahre den Aufbruch nach Neustadt (Synonym für
Hoyerswerda). Einer großen Sache verpflichtet, träumt die wahrheitssuchende,
wirklichkeitssüchtige, liebende und zugleich leidende junge Frau von einer
Architektur mit menschlichem Antlitz. Vom Bau moderner Wohnungen in einer
menschenwürdigen neuen sozialistischen Stadt für die Kumpel des Kombinats
Schwarze Pumpe. Aber sie trifft auf den schwierigen Alltag, auf die
ökonomischen Zwänge im harten Ringen um die Lösung der DDR-Wohnungsfrage. Sie
schwankt zwischen Enthusiasmus, Zweifeln, Rebellion und erzwungener Anpassung.
Aufopfernde Arbeit, Anteilnahme am Schicksal der Kollegen, Freundinnen,
Erfüllung und existentielle Auseinandersetzungen mit ihren Geliebten – eine durch
und durch liebenswerte Frau im Wandel in stürmischer Zeit.
Kathleen
Morgeneyer bewältigt als Franziska Linkerhand diese große Aufgabe mit Bravour.
Sie veranschaulicht eindrucksvoll den Weg vom kleinen Mädchen zur selbstbewusst
Liebenden und engagiert arbeitenden und kämpfenden Architektin. Das ist eine junge
Frau aus Fleisch und Blut, geleitet von tiefen Gefühlen, Mut und
Selbstvertrauen. Mit ihrem unzähmbaren Glücksanspruch gerät sie in tiefe
Konflikte mit der profanen Realität.
Dabei bleibt nicht aus, dass die Fülle der von der Regie in der Inszenierung aneinander
gereihten Schicksale und Einzelaktionen manche der Zuschauer/innen überfordert.
Zunächst interessante Kameranahaufnahmen und großflächige überdimensionale
Videoprojektionen (Peter Stoltz) auf der offenen Bühne (Wolfgang Menardi) führen
im Verlauf des Abends leider dazu, dass sich Kernaussagen des Stücks
verzetteln.
Das gipfelt am Ende – um hier nur ein drastisches Beispiel zu benennen – in dem
ellenlangen biografischen Monolog des vom eigenen Versagen und schlimmen DDR-Schicksalsschlägen
zugleich gezeichneten Ben (Felix Goeser). Man meint, an dieser Stelle irgendwie
im falschen Stück gelandet zu sein. Das endlose Minuten überlebensgroß die
Bühnenrückwand ausfüllende Videoporträt und der entlarvend anklagende Vortrag des
merkwürdigen Herrn Trojanowicz (von dem Franziska will, dass er der erträumte
Ben ist) verschieben am Ende die ganze, in sich so überzeugende Parabel des
Linkerhandschicksals aus Brigitte Reimanns Roman.
„30 Jahre
Mauerfall“ sollten ausreichen, um endlich einen klaren, einen unverstellten
Blick auf die historischen Abläufe in Deutschland zu gewinnen. Franziska
Linkerhand – das war eine junge Frau im Osten Deutschlands, die an eine große
Sache glaubte, die meinte, mit ihrem Einsatz, mit ihrer Kreativität und ihrem
beruflichen Können einen Beitrag leisten zu können für eine gerechtere, für
eine menschenwürdigere Ordnung. Sie war/ist liebenswert auch in ihren Zweifeln,
in ihrem Schmerz, in ihrem Versagen und in ihren gescheiterten Liebesbeziehungen.
Sie hat tatsächlich „was bewegt“. Hat andere aufgerüttelt, zum Nachdenken und
Bessermachen angestiftet. Die Bilanz, die Franziska zieht, lautet:
„Es muß, es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen,
zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen
und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, …“ (in der Ausgabe vom Verlag
Neues Leben, Berlin 1974, S. 582)
Dieses
Schicksal und die Umstände, gegen die die Linkerhand gekämpft hat, sind mit dem
Untergang der DDR nicht einfach „vergangen“. Seinerzeit ging es um die Suche
nach Wegen, in einer neuen, aufstrebenden Gesellschaft allen arbeitenden
Menschen menschenwürdiges Wohnen zu ermöglichen. Dieses Ringen hat prachtvolle,
schöpferische Persönlichkeiten geformt.
Und es drängt sich die Frage auf: Kann die Aufführung eines solchen Bühnenstücks
nach dem Roman „Franziska Linkerhand“ heute so auf verdammende Kritik bestimmter
Zustände damals begrenzt werden? Ist sie nicht geradezu verpflichtet, den Blick
des Zuschauers auch gezielt aufs Heute zu richten? Aufs Heute, wo doch in einem
ach so reichen Land tausende Menschen obdachlos auf der Straße dahinvegetieren
müssen. Wo es darum geht, allem Profitstreben zum Trotz auch für Menschen, die nicht
über Reichtümer verfügen, überhaupt bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Zur
Lösung dieses existentiellen Problems sind doch ganz gewiss unter anderem und
keinesfalls zuletzt auch heute Menschen gefragt, die über Eigenschaften
verfügen, wie sie seinerzeit Brigitte Reimann ihrer Franziska Linkerhand
zugeschrieben hat. Menschen, die ihr Können und ihr ganzes Streben dafür
einsetzen, soziale, menschenwürdige Zustände zu schaffen.
(Ossietzky, Heft 25, 28. Dezember 2019, S. 902 – 904)