Schadenfreude

Nicht einfach Schadenfreude 

Gerwin Udke

Die derzeitige weltweite Finanzkrise veranschaulicht eindrucksvoll, dass die „freie Marktwirtschaft“ in eine historische Sackgasse geraten ist. Dass sie keinesfalls eine erstrebenswerte Zukunftsvariante für die Völker dieser Welt darstellt.
Gerade angesichts dieser aktuellen Entwicklungen in der „freien westlichen Welt“ auf Kosten der armen Völker sind alle Versuche zur Verteufelung sozialistischer Ideen sowie besonders eben auch zur Verfälschung und Verteufelung des Realsozialismus zu entlarven und zurückzuweisen. 
Es müssen auch alle immer neuen Versuche entschieden zurückgewiesen werden, die DDR im Nachhinein als „zweite deutsche Diktatur im 20. Jahrhundert“, „Unrechts-„ oder „Stasi-Staat“ zu diffamieren. 

Den Verfälschungen und Verteufelungsversuchen des Sozialismus zum Trotz bleibt unauslöschlich der historische Fakt: Der Realsozialismus hat seinerzeit die erste Bresche in das weltbeherrschende kapitalistische System geschlagen. Er hat Millionen Menschen erstmals den Weg geöffnet in ein friedliches, selbstbestimmtes Leben. 
Dieser erste Sozialismus-Versuch in der Praxis ist dann aber bekanntlich am Ende des zurückliegenden Jahrhunderts erst einmal gescheitert. Er ist dem übermächtigen politischen, ökonomischen und militärischen Druck der Monopolkapital-Gesellschaft unterlegen. Einer Ordnung, die vom Scheitern des Realsozialismus maximal profitiert hat. Die aber selbst dennoch immer wieder erneut durch Verwerfungen und chaotische Krisen erschüttert wird. Und das immer auf Kosten der Ärmsten und Benachteiligsten dieser Welt. 

Deshalb wachsen verständlicherweise Empörung, Unmut, ja Wut über die moderne Kapitalgesellschaft. Angesichts der aktuellen Verwerfungen und Bedrohungen wären Resignation oder einfach Abwarten ja auch das Falscheste, was man tun könnte. 

Andererseits reagieren einige, die nach Alternativen zur Kapitalordnung suchen, regelrecht mit Schadenfreude auf die aktuelle Krise der Kapital-Finanzmärkte. Sie reagieren mit Schadenfreude und Genugtuung insbesondere den Akteuren gegenüber, die meinen, die Welt nach ihrem Belieben ausbeuten zu können, sich de facto aber als außerstande erweisen, die aktuellen chaotischen Entwicklungen zu beherrschen. 
Solcherart Reaktionen sind natürlich nur allzu verständlich. Auf der anderen Seite ist aber zu fragen, ob ein solches Reagieren tatsächlich angeraten sein kann.

Nur zum Beispiel: Es befremdet schon ein wenig, wenn heute unter denen, die regelrecht mit Genugtuung und Schadenfreude auf die aktuelle Finanzkrise reagieren, auch einige sind, die – neben ihrem selbstverständlich zu würdigenden Anteil und ihrer Verantwortung für das im Realsozialismus seinerzeit positiv Erreichte – ja irgendwie auch Mitverantwortung tragen dafür, dass dieser Sozialismus-Versuch und die DDR vor zwanzig Jahren letztlich so sang- und klanglos untergegangen sind.

Angesichts der in Folge der Finanzkrise drohenden Rezession, drohender extremer Zunahme von Arbeitslosigkeit und sozialer Verunsicherungen für große Teile der Bevölkerung überall in der Welt können Schadenfreude-Reaktionen nur verwundern. Sie sind ganz einfach fehl am Platze. Sie sind für sich genommen vor allem ganz und gar nicht geeignet, nunmehr weltweit drohende Gefahren eskalierender Gewaltausübung zu begegnen.

Heute mit Genugtuung auf das Versagen der aktuellen Akteure des Finanzkapitals zu reagieren kann ja nicht ungeschehen machen oder etwa auch nur davon ablenken, dass die gegenwärtigen katastrophalen Entwicklungen der Kapitalordnung, die auf dem Rücken und zum Nachteil von Millionen Menschen ausgetragen werden, nicht völlig losgelöst von dem vorangegangenen Versagen und dem Untergang des Realsozialismus betrachtet werden können. 
Schließlich konnten sich die Akteure der modernen Kapitalgesellschaft ja überhaupt erst nach dem Scheitern, nach dem Abtreten des Realsozialismus vom Schauplatz der Geschichte, nach dem „Verschwinden“ des verhassten Klassengegners anmaßen, ihr Streben nach maximalsten Profiten so ohne Skrupel und ohne Rücksicht auf die benachteiligten Völker dieser Welt zu realisieren.

Mit dem Scheitern des ersten Sozialismus-Versuchs in der Praxis war das mit großen Anstrengungen aufgebaute und ja auch höchst wirksame Gegengewicht zur westlichen Welt untergegangen, verschwunden. Unter dem enormen Druck der westlichen Kapitalgesellschaft hat sich das realsozialistische System erst einmal noch nicht als reale und bestandskräftige historische Alternative zur alten Ordnung behaupten können. 
Damit war – und das ist wohl im historischen Kontext betrachtet der schwerwiegendste mit dem Untergang des Realsozialismus erlittene Rückschlag – das Hinterland für die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt weggefallen. Weggebrochen war der Rückhalt für den Aufbruch der in erster Linie unter dem Kapitalmonopol leidenden unterdrückten Völker dieser Welt. 

Und zugleich sind ja mit dem Untergang des Realsozialismus der Kapitalordnung auch von dieser wohl selbst in diesem Ausmaß erst nicht einmal erahnte erneuerte Entfaltungsmöglichkeiten zugewachsen. Mit dem Erfolg der Roll-back-Strategien des Monopolkapitals haben sich vielfach gesteigerte Möglichkeiten zur Ausbeutung und Unterdrückung der unterdrückten Völker durch die kapitalistischen Weltmonopole ergeben.

Zum anderen wäre es gerade auch für die Suche nach tragfähigen Alternativen zur tief erschütterten Kapitalordnung problematisch, wollte man mit dem Verweis auf die aktuellen chaotischen Entwicklungen der weltweit herrschenden Kapitalgesellschaft einfach die Diskussion über seinerzeitige Fehlentscheidungen und Mängel des erst einmal vom Schauplatz der Geschichte abgetretenen Realsozialismus für beendet erklären.

Realitäts- und wahrheitsbezogene Sozialismus- und speziell DDR-Erinnerung schließt unabdingbar weitere Klärungen auch zu den Gründen fürs Scheitern dieser realsozialistischen Ordnung ein. Davon abzulenken bzw. die Debatte hierüber beenden zu wollen – das würde die Gefahr heraufbeschwören, dass sich bei anstehenden neuen Anläufen zur nachhaltigen Veränderung der aktuell bestehenden Ordnung erneut seinerzeitige Fehlentwicklungen wiederholen könnten. Das würde die erneute Wiederholung bereits erlebter und durchlittener historischer Kreisläufe sozusagen in einer sich immer wiederholenden Endlos-Schleife heraufbeschwören – und das immer auf Kosten der Benachteiligten und Ausgestoßenen dieser Welt.

Fazit: Schonungslos müssen die Machenschaften der Akteure der Finanz-Kapitalgesellschaft in ihrem Streben nach maximalen Profiten aufgedeckt werden, um daraus tragfähige Ansatzpunkte für gangbare gesellschaftliche Alternativen ableiten zu können. 
Für tragfähige Alternativvorstellungen sind aber genauso wichtig die Anstrengungen, die unternommen werden, ehrlich die gesammelten Erfahrungen bei der Gestaltung des Realsozialismus auszuwerten. Diejenigen, die seinerzeit ihre ganze Kraft für den Aufbau und das Gelingen des Sozialismus eingesetzt haben, und alle, die heute linke Positionen vertreten, sind verpflichtet, realistische Schlüsse aus dem Weg des Realsozialismus und speziell aus den Gründen für dessen erst einmal erfolgtes Scheitern zu ziehen. Eine solche selbstkritische Analyse ist der allerbeste Garant für Glaubwürdigkeit beim entschiedenen Vorgehen gegen die Machenschaften der Verursacher der verheerenden Finanzkrise heute und vor allem für eine erfolgreiche Suche nach neuen gangbaren Wegen über die Herrschaft des Monopolkapitals hinaus.

November 2008